Dr. Anton Gugg, Kunsthistoriker, Salzburg Zum Werk des Malers Henri Deparade
Wenn ein Maler heutzutage das Hier und Jetzt mit seiner öden Problemflut verlässt, um in die Welt der erhabenen Dramatiker der griechischen Antike einzutauchen, dann bedeutet das zuallererst Mut - lauert doch hinter jeder Anmaßung des Höchsten, ja Allerhöchsten, die ungewollte Parodie - das Gelächter eines unsichtbaren Publikums, das den unmöglichen Klimmzug von entfernt Nachgeborenen an ein unerreichbares Original verspottet.
Henri Deparade bringt diesen Mut, über die Klippen einer möglichen Entblößung des schier Unmöglichen hinwegzusetzen, seit einiger Zeit auf. Bilder der letzten Jahre tragen die Titel "Orestie", "Klytaimestra und Agamemnon", "Medea und Jason". Wäre er ein Theaterregisseur, würde man mit Recht den Anspruch stellen: Er muss besser, intensiver sein als Peter Stein vor fast dreißig Jahren auf der Schaubühne am Halleschen Ufer. Was sich damals abspielte, war atemberaubend genug und löste eine theatralische Antiken-Welle sondergleichen aus. Die Kulturwelt begann sich wieder mit diesen unfassbar monumentalen Texten, der zyklopischen Schicksalswucht jener Gestalten zu befassen, ja man entdeckte die Brisanz in verstaubt geglaubten Texten wieder, die bis dahin hauptsächlich totes Seziermaterial der Philologie gewesen waren.
Meine Damen und Herren - das ist doch nur der beste Beweis dafür, was Künstler von Rang bewirken können, nämlich die Wiederbeatmung ganzer Kulturschichten und aus dieser scheinbar nur rückwärtsgewandten, archäologischen Arbeit wächst dann wieder etwas völlig Neues, Zeitgemäßes, Zukunftsweisendes.
Henri Deparade ist durchaus in diesen Zusammenhang zu stellen. Auch er, der 1951 in Halle an der Saale geborene Maler, der seit 2001 in dieser Galerie gastiert, ist wahrscheinlich ein solcher Öffner von verschlossen geglaubten Vergangenheitsräumen in die Zukunft. Wir hier in der Gegenwart können über die unmittelbar zu uns sprechenden ästhetischen Qualitäten reden und spekulieren, was sie künftig in Bewegung setzten könnten. Das, was für mich sicher ist, betrifft das Malerische in diesen Gemälden. Es ist wahrscheinlich nicht falsch, wenn ich feststelle, dass Deparades handwerklich-malerisches Vermögen die Grundlage für inhaltliche Ansprüche, für Bezüge zu den großen Tragödiendichtern der Antike sind.
Namen, Assoziationsbezüge würden nur lächerlicher Schall und Rauch sein, wenn sie sich nicht berufen könnten auf einen stichhaltigen künstlerischen Befund. Und bei aller Subjektivität der Wahrnehmung kann man schon sagen. Da ist ein Maler am Werk, der durch viele Stahlbäder der realistischen Kunstauffassung, der strikten Ausbildung und der Auseinandersetzung mit den großen Gestalten der klassischen Moderne gegangen ist. Das mag für viele andere Künstler auch gelten, bei denen das Ergebnis all dieser äußerlichen wie innerlichen Torturen blass und unscheinbar bleibt. Entscheidend ist und bleibt am Ende doch, was ein Künstler mit seinen erworbenen Grundlagen und seinen wachsenden inneren Herausforderungen anfängt.
Henri Deparade hat aus vielen Einflüssen, aus der realistischen, der figurativen wie abstrakten Sphäre eine unverkennbare eigene Handschrift entwickelt, die in jeder Landschaft, jeder antikisch getauften Figurenkomposition sofort zu erkennen ist. Er hat seine eigene Stimme geformt, diszipliniert und zum Spielinstrument gemacht - eine unverkennbare warme, manchmal pastellene Coloristik, ein ganz bestimmtes Licht, eine ganz bestimmter Zusammenklang von Auflösung und klarer Figuration, von Räumlichkeit und dynamischen Möglichkeiten. Deparade ist Deparade - und kein Nachhall auf den manchmal ähnlichen späten Kokoschka, auf die Archaik der italienischen Transavantgardia oder die kolossalen und brutalen Antikenbilder und Menschendarstellungen eines Lüpertz oder Baselitz. Deparades Welt ist differenzierter, auch raffinierter, leichter, wenn man so will, französischer - bei aller scheinbar rein deutschen Expressivität. Aber man soll nicht verquält vergleichen und unsinnige Bezüge konstruieren.
Ein Maler mit verzweigten europäischen Wurzeln erzählt uns mit vergleichsweise traditionellen Mitteln von den Argonauten und man glaubt ihm aufs Wort. Eigentlich ist das unglaublich in einer Zeit, wo alles schon gesagt ist und niemand mehr etwas aufmerksam hören will und kann. Aber es ist so. Warum dies überhaupt sein kann, wird einmal später irgendwo zu lesen sein. Wenn andere Menschen einen distanzierteren Blick auf diese Bilder haben werden. Momentan wollen wir uns ganz emotional diesem Anblick überlassen.