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Henri Deparade zur eigenen künstlerischen Position - Henri Deparade zur eigenen künstlerischen Position 2

Vom Sein etwas abstrahlen, das Lebendige wachrufen; Malerei muss also mehr sein als ihr Stoff und seine Thematisierungen, wenn ihre Resultate künstlerische Bilder sein wollen. Wie bei vielen Malern, so hat auch für mich, der Prozess des Machens selbst immer mehr an Bedeutung gewonnen und er wird so lange fortgesetzt, bis eine Lösung gefunden ist, die meinen künstlerischen Intentionen gerecht wird. Die Gestalten brauchen Luft zum atmen und es ist zu hoffen, dass eine malerische Situation entsteht, die  den Betrachter reizt, sich die Akteure nun selbst in der Fantasie zu erfinden und sie nach zu erleben: Jason sucht das goldene Vlies, Medea unternimmt die Überschreitung psychischer Grenzen, um ihre Freiheitsdefinition zu leben. Pandora ist die allbeschenkte und zugleich das schöne Übel, Syrinx, Hera, Kronos, Perseus, Epimetheus, Prometheus, Odysseus, Kirke, Penelope, Agamemnon, Klytaimestra; diese Gestalten sind Sinnsuchende, in Liebe, in Hass, in Eifersucht, in Gier und in Freundschaft, aber alle diese Gestalten werden bewusst nicht illustrativ- erkennbar dargestellt, sondern sind nur über die malerischen Strukturen zu erschließen und durch den Betrachter selbst zu erfinden; seine Fantasie könnte darin ebenso und sollte sogar unsere heutigen Mitmenschen erkennen. So ähnelt es dem Leben in der heutigen Großstadt, im ewigen Kampf Aller gegen Alle, aber andererseits zeigt sich auch eine Schicksalsgemeinschaft in Hoffnung, Leidenschaft, Gleichgültigkeit und Verachtung auf der Suche nach Selbstbehauptung und Glück. Auch Künstler und Rezipienten fühlen sich diesen Sinnsuchern oft verwandt und identifizieren sich damit. Möglicherweise gelangen diese Figuren auch so in meine Bilder.

So könnte manche Interpretationen dahin gehen, dass mit jenen Halbfiguren und Köpfen die dunkle düstere Seite der modernen Zivilisation, eine gefallene Welt gezeigt wird und manchmal auch eine andere Facette einer postmodernen Gesellschaft als ein „Gemisch von Zwängen und Beliebigkeiten.“ Möglicherweise evozieren dunkle Tuschelasuren düstere Pracht oder sparsamer eingesetzte Tuschezeichnungen und hellere Farben atmen lichte Beweglichkeit; einmal vielleicht ähnlich dem „sündigen Glanz der Blumen des Bösen“. Zum anderen die erlösende Sicht auf das Werden und die Dynamik des Lebens fördernd. So entstehen Farb- und Linienkonstellationen, die ihrerseits als Figuren gedeutet werden können, die als Akteure im Bildraum nolens volens zu Sinnträgern werden. Dies macht eines deutlich, dass die auf einer solchen Emblematik entstandenen Metaphern multivalenter sind und sich nicht auf Stoffe und deren jeweilige Thematisierung einengen lassen, sondern für allgemeinere existenzielle Erfahrungen von Wirklichkeit stehen. Hier muss der Maler den Literaten und Literaturliebhaber immer enttäuschen und die alte Deutschlehrerfrage, „was hat das zu bedeuten“ trifft ins Leere, weil im Medium der Malerei primär nur der Genuss von Farbe und Form zu verwirklichen ist; so haben diese Gebilde als Gestalten unserer Fantasie, sobald sie ins Bild treten, als Bildfigur autonomen Charakter. Es kann letztendlich nur um den Versuch gehen, die Bindung an die sichtbare Welt über die Evokationskraft der „abstrakten Mittel“ wieder herzustellen. Der so geartete innere Aufbau des Bildes, kann als eigene unverwechselbare Bildsprache bezeichnet werden und diese lässt sich vielleicht dabei am ehesten einem schwingendem, beweglichen Gleichgewicht, das Spannungen und Gegensätze einschließt beschreiben, weil als Resultat eines energiereichen Weges, die Vehemenz des Herstellungsprozesses, zunehmend spielerisch und leicht, bewusst ganz offen sichtbar bleibt. So notwendiger Weise auch die Spuren der Pinselschrift, die ein erkennbares Psychogramm bilden.

Offen sichtbar ist die Beziehung von Malprozess und Fantasie.Die aus dem Bildraum auftauchenden Figuren bilden dann auch ein Spektrum von Gestalten seltsamster Materie, manchmal plastischer und manchmal transparenter Anmutung. Da sind auch Formgebilde ganz abstrakter Natur, die ins Anthropomorphe drängen, zum anderen formale Erfindungen mit eindeutig figural-menschlichem Charakter. Solche, die wie allgemeine malerische Zeichen wirken und Ausdruck tiefen Erlebens sind und solche, die aus mimetischen Prozessen stammend, konkrete Menschen charakterisieren und so zu Metaphern moderner Existenz werden können. Möglicherweise sind bestimmte Physiognomien, Gegenüberstellungen und Aus- bzw. Anschnitte unbewusst aus der Optik künstlich generierter Bilder und deren Wahrnehmung im Film bzw. auf dem Bildschirm von mir verinnerlicht und damit in meinen Wahrnehmungs- bzw. Malprozess mit eingeflossen. Es gibt darüber hinaus auch eine orphische Basis für meine Malerei und so auch Bilder, in denen diese Gestimmtheit überwiegt. Sie werden eher als konzertante Sätze zur Erfindung von Natur und Mitwelt in Bildern empfunden, nur das diese Erlebniswelt bewusst nicht mit mimetischen Methoden abgebildet wird. Es sind demgegenüber „Klangfiguren“ visueller Art, die heraufziehen aus der Erinnerung an diese reale Mitwelt, an das Glück, das durch das Auge eintrat, als ich die Farben dieser Welt aufnahm. Es ist nochmals zu betonen, immer sind aber diese Erlebnisse ganz bewusst transponiert in Bildfarbe und -form, also in ein autonomes, selbstbezügliches malerisches Medium gesetzt. Auf dieser Basis entstehen Gebilde, die als Landschaften, als erotische Wesen, als Wunschbilder und Widersacher zu deuten sind und mit denen der Betrachter sich auseinandersetzen oder identifizieren kann. Diese entspringen einer doch wiederum gegenständlichen Fantasie, die scheinbar spontan in den Malprozess eindrängt.

Nicht nur der Bildraum mit seinen formalen und gehaltlichen Elementen, seinen Bedeutungshorizonten bleibt transparent, durch die Multivalenz und Vieldeutigkeit, bleibt ein geistiger Raum offen gehalten, so dass der Betrachter in den Raum der Bilder eintreten und so im Dialog die Grenzen des eigenen Ich überschreiten kann. Wie man es immer sehen mag, für mich ist Kunst nichts Fertiges, sondern unlösbare Frage, die uns über die Erfahrung unserer Existenz hinaus führt. Es wird oft behauptet, Kunst wäre gleichsam Zumutung. In meinem Oeuvre vielleicht in diesem Sinne: Die oben beschriebene Vieldeutigkeit meiner Bilder gibt wenig vor, man muss sich einlassen auf den beweglichen multifokalen Raum, auf die Figuren mit mehreren Umrissen. Wenn dieses Zusammenfließen zu einem notwendigen Bedeutungsraum gelingen soll, ruft das zwingend die Mittätigkeit des Betrachters hervor; das Werk ist für sich nur ein gestalterisches Gebilde mit dem Potential für mehr, als Kunstwerk kann es aber erst durch die Interpretation des Betrachters lebendig werden. Indem der Rezipient ernst genommen wird und er dadurch eine aktive Rolle als Interpret bekommt, könnte eine geistig- stimulierende und inspirierende Funktion des Werkes erreicht werden. Hier sieht man wieder die Waghalsigkeit dieses malerischen Unternehmens, weil man in dieser Weise nicht auf bewährte Muster setzen kann. So kann es mir um nichts weniger gehen als um eine eigene Sprache und gleichsam um eine Malerei im besten Sinne.

Mir geht es mit dieser Sprache um zwei Aspekte; erstens um die Markierung einer Präsens des Gegenständlichen mit malerischen Mitteln, in der die formalen Zeichen anschaulich- sinnliche Genießbarkeit wachrufen, obwohl oder gerade weil sie in eine „Klangstruktur“ visueller Art  eingebettet sind, die etwas vom Rhythmus der heutigen Welt und dem Erleben in ihr nachtönen lässt. Wenn dieser Transport von innen als spontane Antwort des Seelisch- Zuständlichen ins Medium der Malerei gelingt, tritt etwas an die Oberfläche, was menschliche Vorstellung lebendig sichtbar macht und so belebend andere menschliche Vorstellung stimuliert. Das setzt zweitens ein Bemühen um kontextuelle Einsichten um ein Einfühlungsvermögen in tiefere orphische Regionen voraus, das von beiden, dem Rezipienten und dem Macher zu leisten ist. Nur so die produktive Gleichzeitigkeit und -wertigkeit von Innen und Außen als Spannungsfeld zu entfalten, d.h. jenen „Gesamtklang“ zu finden, indem sich das Ich und die Mitwelt gemeinsam befinden. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass eine Direktheit der künstlerischen Expression erreicht werden kann, die- auch bei der angestrebten formalen Konsequenz  und malerischen artifiziellen Sprachförmigkeit- in ihrer Figuration sinnliche Ausstrahlung und vielleicht expressive Lebendigkeit besitzt. Das macht nur Sinn, wenn sich für den Betrachter deutlich die Erlebniskraft im bildnerischen Zeugnis mitteilt und sich so etwas über die Sichtweise heutiger Menschen und heutiger Zeit im Werk spüren lässt. Es geht um die Verwandlung eines materiellen Dinges, einer Gestaltung von Farbmaterie in einen geistigen Raum, der zunächst im Künstler, und wenn der Übersetzungsprozess gelingt, im Kopf des Betrachters entsteht. Das Formvokabular als ein Äquivalent des künstlerischen Behauptungswillens, gewinnt so unter den harten, unausweichlichen Bedingungen des Systems der innerbildlichen Spannungen und Bezüge eine Absolutheit, die etwas Übergreifendes spüren lässt, so etwas wie ein Nachhall vom „Gesamtklang der Welt“.

Dieser kurze Text ist an Besucher meiner Web-Site gerichtet, die etwas über meine malerische Sprache und den Kontext, in dem sie entstanden ist, erfahren wollen. Er ist nicht explizit an Kunstwissenschaftler bzw. Künstlerkollegen gerichtet und erhebt damit als solcher auch keinen Anspruch auf  kunstschriftstellerische Positionen und mithin auch nicht auf Wissenschaftlichkeit, damit waren analytische und hermeneutische Methoden von vornherein ausgeschlossen.

Henri Deparade
Dresden im Januar 2009