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Henri Deparade zur eigenen künstlerischen Position


Bedeutungsgewebe zwischen der griechischer Mythologie und der Jetztzeit in der Malerei


Eine Aufgabe der bildenden Kunst könnte also sein, den „Gesamtklang der Welt“…“ in Bildern aus sich herauszustellen“. Hier wird schon die Beziehung von -Ich- und -Welt- deutlich. Das Ich ist ein Ensemble aller eigenen Erfahrungen Gefühle, Ansichten, Maximen, Reflexionen und somit gleichsam ein Spiegelkabinett aller Reize, Informationen und Bilder, die von außen aufgenommen wurden. Von der Bewusstseinsperspektive her gesehen, geht es bei jedem Künstler um den individuellen psychischen Bericht über die Sonderbarkeiten des Daseins; und damit sind viele Doppeldeutigkeiten im Spiel. Das wird in seiner Komplexität noch dadurch erhöht, dass sich das Ich zudem selbst seine Gegensätze erfindet. So geht es im Werk um eine sich immer mehr entfaltende Vieldeutigkeit. Dem entspricht, auf meine eigene künstlerische Arbeit Bezug nehmend, die Vielschichtigkeit des Bildraumes im malerischen Medium selbst. Die sich dort herausbildende Metaphorik wird deshalb einerseits, auf das Ich bezogen, zum Bildzeichen der Wiedererschaffung eines existenziellen Ereignisses und andererseits lagern sich in Mitten dieser entstehenden Bilder Treibgüter der Kultur ab.

Dabei geht es in meinem Oeuvre um Zusammenhänge von Realität und Traum, von Bewusstsein und Unbewussten, Banalität und Magie oder eben auch Außen und Innen; aber immer, dies ein Spezifikum, um eine in sich bewegliche Form. Gestalthaftes und dessen ständige Verwandlung muss malerischen Ausdruck finden. Dies geschieht auf dem Fundament der Postmoderne, in der sich das Denken und Gestalten in polyfokaler Offenheit vollzieht. Vielleicht berühren sich gerade in dieser Hinsicht die Handlungsmuster der griechischen Mythologie und der Jetztzeit am innigsten. Auch in meiner Malerei handelt es sich um selbstgesponnene Bedeutungsgewebe, die sich in überlagernden Figuren spiegeln; dies geschieht  in einer figürlich- malerischen Expression, in welcher die Oberflächen der Körper und das Spiel des Unsichtbaren in ihnen gezeigt werden. Dem entspricht die Doppeldeutigkeit der mythischen Gestalten, die als Akteure alter Stoffe, Dichtungen und Mythen, in meinen Bildraum treten. Es geht hier nicht um den Blick zurück, um die „Nestwärme“ eines von Entfremdung gereinigten ganzheitlichen Wunschbildes. Während ein Blick zu den Quellen unserer antiken bzw. christlichen Tradition zurückgeht, ist ein anderer, für mich wichtigerer Blick, auf die Gegenwart gerichtet.

Noch in die Jetztzeit hinein wirken die Traditionen und Reflexionen, die das Wissen des 20.Jh. zur Grundlage haben. Ich denke an den Ulysses von James Joyce und das Werk von Sigmund Freud. So seine Traumanalysen, die jedem Analysanden potentiell mehrere Identitäten geben. Diese Dinge sind tief in unser Denken und Gestalten gedrungen. Auch das Wissen um unsere eigene Eingebundenheit in die Welt, wie es uns die neueren interdisziplinären Erkenntnisse der Philosophie und der Wissenschaft verdeutlichen, die immer mehr eine Trennung von Substanz und Geist in Frage stellen und die die Mitwelt als Zusammenspiel im Sinne von „Informationskomplexität“ interpretieren. Das Wissen um die Komplexität der Korrelationen der physischen, psychischen und geistigen Welt erweitert wiederum den Radius unseres Denkens. Der Möglichkeitssinn (-ein Wort von Robert Musil-) gerät immer mehr in den Focus des modernen Bewusstseins. Auch die bildende Kunst sucht mehr denn je nach Methoden bzw. Konzepten und nach Metaphern bzw. Gestaltungsformen mit multivalenter Offenheit. Meine Intention- im formalen Sinne- ist es dabei, mit einem ganz bestimmten Bildraum aus malerischen Strukturen darauf zu reagieren.

Der schichtenweise gebildete, imaginäre Raum ist im Wesen dynamisch- transparent und bildet sich aus Gestalten, greift in sie über und ist gleichsam aus ihnen gebildet. Die Konturen und Konfigurationen dieser Protagonisten sind in Brechungen und in Mehrfachüberlagerungen sichtbar, dabei sind die malerischen und zeichnerischen Strukturen transparent und schichtenweise angelegt und erscheinen dem Auge in mehreren Umrissen, was auf ständige Veränderung und Identitätserweiterung hinweist. Alle diese Figuren haben damit auch inhaltlich das Potenzial als metaphorische Akteure in Erscheinung zu treten und das bei gleichzeitigem Gewinn von Vieldeutigkeit und Beweglichkeit in einem sich fortwährend wandelnden Netz der Beziehungen und Beziehungslosigkeiten. Diese formalen und gleichsam inhaltlichen Gegebenheiten evozieren eine psychische Struktur, deren Gehalte- mit Blick auf die alten mythischen Stoffe, wie auf die Beziehungen heutiger Menschen - in ihrer Zwitterhaftigkeit, in ihren Spaltungen, in ihren Vermischungen, in Mutationen, in Zwiespälten und in Konflikten gedeihen und solcher Art künstlerische Botschaften vermitteln. Die malerisch- transparenten Räume könnten als Metaphern für kreativ- organisierte Lebensschöpfungen stehen und gleichfalls eine künstlerische Entsprechung zu den Einsichten neuerer Philosophien und zur Quantenphysik darstellen; eben zu solchen Theorien, die ihrerseits bewegliche offene Systeme „Möglichkeitsgewebe“ und sphärologische Raumtheorien propagieren. Aber dies möchte ich dem Rezipienten überlassen, er möge entscheiden, ob es diese Verbindungen gibt. Nun liegt aber dieser, von mir entwickelte, transparente Bildraum vor und so sollte es legitim sein, ihn etwas näher ins Auge zu fassen; z.B. welchen Möglichkeitsumfang, besonders welches spezifisch malerische Ausdruckspotential er birgt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in sich bewegliche bildnerische Gewebe und Beziehungen in einem transparenten Raum von übereinander gelagerten Farblasuren und Deckschichten entstehen, die im Spannungsfeld zwangloser Farbexpressivität und assoziativer Zeichnung Gestalten generieren, die eine Fülle von Möglichkeiten haben, um ihrerseits Anspielungen, Assoziationen, Verweise und Bedeutungen gehaltlicher Art zu erzeugen. Eben diese Gestalten, wenn sie „im Malprozess ins Bild treten, scheinen aus einer parallelen Welt, einer Welt der hellen Ängste und Sehnsüchte zu strömen, als ob die Traumwelt von de Chirico all ihre Melancholie ihren Narzissmus und ihre historische Nostalgie verloren hätte und von bizarren, modernen Ängsten und Sehnsüchten überflutet worden wäre.“ * (Zitat: Klaus Hammer- Katalogtext) Formal gesehen kann es sein, dass eine Oberflächenschicht etwas zeigt, welches als Figuration wieder etwas tiefer liegendes verkleidet, einzig die Imaginationskraft der Malerei macht es dabei möglich, das überhaupt etwas spürbar in Erscheinung tritt; so ist da etwas Heraustretendes, das teilweise verhüllt ist und gerade damit kann es eventuell die Neugier reizen und  angestrebte Sogwirkung ausüben. Damit ist das waghalsige Abenteuer, das Malerei, wie es für mich nach wie vor besteht, ein wenig, wenn auch unzureichend, beschrieben. Das heißt, das Risiko für das Gelingen ist bei einem solchen Bildaufbau, maltechnischen Verfahren und inhaltlichen Anspruch sehr hoch.

Die Suche nach dem Mysterium des Seins treibt die künstlerische Tätigkeit an und so muss das Innewerden und Staunen über die Rätselhaftigkeit der eigenen lebendigen Existenz während des Malprozesses wachgerufen werden können und erlebnishaft nachtönen, um diese existenzielle „Geworfenheit“ in einer Interaktion von Farbe und Form bzw. als Malgestus ins Medium der Malerei hinüber zu retten und ganz direkt ausdrücken zu können. Ein Charakteristikum bei diesem nicht so ungewöhnlichen Vorgehen ist noch erwähnenswert: Gegensätzlichkeit und Zwiesprache sei zum integralen Bestandteil meines Mal- und Zeichenprozesses geworden, so wird immer wieder von Außenstehenden konstatiert. Im Nachhinein kann ich das durchaus nachvollziehen: Zunächst wird dabei die Transformation des inneren Bildes in der Farbmaterie selbst erzeugt oder umgekehrt dann sukzessiv aus der Farbmaterie das Bild gewonnen. Nur so, in dieser korrelativen Beziehung, ist die Methode der „sinnlichen Organisation von Sinn“ zu verstehen, deren Bestandteil auch die „psychische Inspiration“ ist, die Formen und Figurationen mit Assoziationspotential entstehen lässt, welche ich selbst wiederum deute und die meine Fantasie weiterentwickelt. Die so gewonnenen figurativen Situationen kann ich dann auch bewusst kalkuliert einsetzten, um die Komposition und die damit verbundenen Gehalte weiter zu entwickeln. Es entsteht durch diesen Prozess im nun werdenden Bild eine Verdichtung, die auf emblematische Metaphorik zielt und die in der Tragödie von Farbe und Form ihren einzigen Atem hat.